2025 steht vor der Tür. Ein weiteres Jahr voller Ungewissheiten, neuer Herausforderungen und Hoffnungen. Und ja, vielleicht auch voller Ängste. Das ist kein Grund zur Panik. Ganz im Gegenteil. Angst ist ein zutiefst menschliches Gefühl – eines, das wir nicht verteufeln sollten, sondern verstehen können. Vielleicht werden wir sogar feststellen, dass Angst uns dienen kann.
Die Angst als Wegweiser
Viktor E. Frankl, der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, sah in der Angst einen Spiegel unserer Werte. Öfter fürchten wir das, was uns besonders am Herzen liegt. Wer beispielsweise Angst um seinen Arbeitsplatz hat, dem ist nicht nur die finanzielle Sicherheit wichtig, sondern vielleicht auch das Gefühl, gebraucht zu werden, einen Sinn zu stiften. Angst um einen geliebten Menschen zeigt die Tiefe der Zuneigung. Die Angst hat also eine Botschaft: »Hier geht es um etwas Bedeutungsvolles in deinem Leben.«
Frankl erlebte in den dunkelsten Stunden des 20. Jahrhunderts, während seiner Zeit in den Konzentrationslagern, wie Menschen trotz unvorstellbarer Not Hoffnung und Sinn finden konnten. Die Frage war nicht: Warum passiert mir das? Sondern: Wozu fordert mich das Leben heraus? Angst wird nicht besiegt, indem wir sie ignorieren. Wir überwinden sie, indem wir ihr ins Gesicht schauen und fragen, was sie uns zu sagen hat.
Mut in der Gegenwart – Über Paul Tillich’s »Courage to Be«
Der evangelische Theologe Paul Tillich beschreibt den Mut, trotz Angst zu existieren, als den »Mut zum Sein«. Er unterscheidet zwischen der Angst vor dem, was passieren könnte und der tieferen existenziellen Angst – der Angst vor dem Nichts, vor dem Verlust von Identität, Sinn oder Zugehörigkeit. Doch Tillich ermutigt uns: Diese äußersten Ränder der Angst bieten uns auch die Chance, uns neu zu verorten. Die Akzeptanz unserer Verletzlichkeit macht uns frei. Wer die eigene Angst anerkennt, kann sie nutzen, um etwas Neues zu wagen – und Mut zu finden.
Tillichs Mut ist kein heldenhafter Paukenschlag. Es ist ein stilles, oft unsichtbares Übereinkommen mit dem Leben: Ja, ich bin hier. Ich stehe aufrecht. Ich bin bereit. Das kommende Jahr wird uns Herausforderungen bringen, gewiss. Aber es wird auch Chancen mit sich tragen. Der Mut zum Sein bedeutet, im Moment zu bleiben, nicht in den Hypothesen über die Zukunft zu versinken.
Die Freiheit, zu handeln – Hannah Arendt’s Perspektive
Hannah Arendt, eine der bedeutendsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts, erinnert uns daran, dass Angst oft entsteht, wenn wir das Gefühl haben, keine Kontrolle mehr zu besitzen. Doch Handeln, so schreibt Arendt, ist unsere große Freiheit. Jedes Mal, wenn wir einen Schritt ins Ungewisse wagen, erschaffen wir etwas Neues. Im Handeln steckt Hoffnung. Selbst kleine Taten, die unser eigenes Umfeld betreffen – ein ehrliches Gespräch, ein mutiger Entschluss oder ein Ausdruck von Solidarität – geben uns Kraft.
Arendt ermutigt uns, nicht gelähmt zu sein von der Großheit der Weltprobleme oder unseren inneren Sorgen. Stattdessen sollten wir uns fragen: Wo kann ich handeln? Vielleicht ist es nicht die gesamte Welt, die wir verändern können. Aber in unserem kleinen Kreis können wir Licht bringen.
2025: Ein Jahr der Möglichkeiten
Ein neues Jahr ist immer auch ein neuer Anfang. Wir wissen nicht, was es bringen wird, aber eines wissen wir: Wir sind dem Leben nicht hilflos ausgeliefert. Die Angst erinnert uns daran, was uns wichtig ist. Sie zeigt uns, wo wir wachsen können, wo Mut gebraucht wird und wo wir handeln sollten.
Vielleicht hilft uns ein Perspektivwechsel: Nicht Was könnte schiefgehen? ist die entscheidende Frage, sondern: Was möchte ich in diesem Jahr wagen? Wo kann ich das Leben umarmen, trotz aller Ungewissheit? Vielleicht ist es ein beruflicher Neustart, eine Entscheidung für mehr Zeit mit Familie oder Freunden, ein Schritt heraus aus der Komfortzone.
Lassen Sie uns das Jahr 2025 also nicht mit Angst beginnen, sondern mit einer ruhigen Entschlossenheit: Wir sind dem Kommenden gewachsen.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ein Jahr voller Mut, Klarheit und Zuversicht. Mögen Sie die Herausforderungen als das sehen, was sie sind: Ein Ruf des Lebens, weiter zu wachsen, zu lieben und zu handeln. Und mögen Sie in Momenten der Angst daran denken: Sie ist nicht Ihr Feind, sondern Ihr Wegweiser.
Alles Gute für 2025 – möge es ein gutes, sinnvolles Jahr werden!
Ihr
René Märtin