
Welchen Weg gehe ich?
Jeden Tag stehen wir vor Entscheidungen. Manche sind klein und alltäglich: Was esse ich zum Mittag? Nehme ich den Bus oder das Fahrrad? Andere hingegen sind wegweisend und beeinflussen unser gesamtes Leben: Welchen Beruf wähle ich? Wo und wie möchte ich leben? Wie gestalte ich meine Beziehungen? Entscheidungen können aufregend sein, doch sie können uns auch verunsichern – vor allem dann, wenn sie weitreichende Konsequenzen haben. Warum fällt es uns oft so schwer, eine Richtung einzuschlagen? Und wie finden wir den Mut, sie konsequent zu gehen?
Entscheiden heißt sich trennen – und den Mut finden, weiterzugehen
Das Wort Entscheidung trägt eine tiefere Bedeutung in sich. Wenn wir uns entscheiden, »ent-scheiden« wir uns – wir trennen eine Möglichkeit von einer anderen. Jede Entscheidung ist somit auch ein Abschied von einer Alternative. Diese Endgültigkeit kann beunruhigen, denn sie zwingt uns, einen Weg einzuschlagen, ohne alle Konsequenzen im Voraus zu kennen. Doch in dieser Ungewissheit liegt auch eine enorme Kraft: Erst wenn wir uns von einem Weg verabschieden, können wir den anderen bewusst beschreiten.
Sich zu entscheiden erfordert Mut, denn jede Wahl bringt Unsicherheiten mit sich. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard bringt dies treffend auf den Punkt: »Etwas wagen, heißt für kurze Zeit den Boden unter den Füßen zu verlieren. Nichts wagen heißt sich selbst zu verlieren.« Diese Worte beschreiben das Dilemma vieler Menschen: Wir zögern, weil wir Angst haben, den falschen Weg zu wählen. Doch was bedeutet eigentlich »falsch«? Vielmehr ist es doch so, dass jede Entscheidung uns formt – unabhängig davon, wohin sie führt.
Eine Entscheidung zu treffen gleicht dem Betreten einer Hängebrücke. Der vertraute, feste Boden liegt hinter uns, das andere Ufer ist noch nicht erreicht. Unter uns die Tiefe der Ungewissheit, vor uns ein schwankender Weg ins Neue. Jeder Schritt fühlt sich riskant an, doch nur wer sich bewegt, kann die Distanz überwinden. Die größte Gefahr ist nicht, den falschen Schritt zu tun – sondern stehenzubleiben und sich der Möglichkeit zu verweigern, voranzukommen. Wer sich auf die Brücke wagt, stellt oft fest: Sie trägt – Schritt für Schritt.
Mut bedeutet also nicht, keine Angst zu haben. Mut bedeutet, die Angst anzunehmen, sie nicht als Hindernis, sondern als Wegbegleiterin zu sehen. Denn Mut ist nicht nur der Sprung nach vorn – er ist auch das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, mit den Konsequenzen umzugehen. Jede Entscheidung ist ein Schritt auf dem eigenen Weg – ein Schritt, der uns näher zu uns selbst bringt.
Sich entscheiden heißt auch, sich öffnen – und Konsequenzen gestalten
So wie »ent-scheiden« bedeutet, sich von einer Möglichkeit zu trennen, bedeutet »ent-schließen«, sich für etwas Neues zu öffnen. Entscheidungen bringen nicht nur Abschied, sondern auch Neubeginn. Wer sich bewusst für eine Richtung entscheidet, öffnet sich für neue Erfahrungen, für Wachstum und für neue Begegnungen.
Manchmal wägen wir lange ab, analysieren alle Optionen, suchen nach Sicherheit. Doch wirkliche Klarheit entsteht oft erst, wenn wir handeln. Eine Entscheidung zu treffen, bedeutet, Verantwortung zu übernehmen – für unser eigenes Leben, für unser eigenes Glück.
Jede Entscheidung hat Konsequenzen, doch nicht jede Konsequenz ist vorhersehbar. Das Leben ist kein statisches Gebilde, sondern ein fortwährender Prozess. Was sich heute als richtig anfühlt, mag morgen anders wirken. Doch auch das ist Teil des Lebens: Entscheidungen dürfen hinterfragt, reflektiert und – wenn notwendig – korrigiert werden.
Kierkegaard schreibt in Entweder–Oder: »Das Große ist nicht, dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein – und dies kann jeder, wenn er es nur will.« Man selbst zu sein bedeutet, die eigenen Entscheidungen anzunehmen – mit all ihren Folgen. Nicht jede Entscheidung führt sofort zu einem perfekten Ergebnis. Doch indem wir zu dem stehen, was wir wählen, gewinnen wir Klarheit über uns selbst und unsere Werte.
Entscheidungen treffen – ein Prozess der Klarheit und Verantwortung
Um gute Entscheidungen zu treffen, ist es wichtig, innere Klarheit zu schaffen. Was ist mir wirklich wichtig? Welche Werte leiten mich? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen hilft, bewusster zu entscheiden. Doch Entscheidungen müssen nicht isoliert getroffen werden. Der Austausch mit anderen kann helfen, blinde Flecken zu erkennen und neue Perspektiven zu gewinnen. Gleichzeitig ist es entscheidend, dem eigenen Bauchgefühl – der Intuition – zu vertrauen. Nicht jede Entscheidung lässt sich rein rational durchdenken – oft spürt man intuitiv, welcher Weg sich richtig anfühlt. Statt auf Perfektion zu warten, sollten wir ins Handeln kommen. Es gibt selten die eine perfekte Wahl. Wichtiger ist es, eine Richtung einzuschlagen und sich darauf einzulassen. Wer eine Entscheidung trifft, trägt auch die Verantwortung für die Konsequenzen – aber das bedeutet gleichzeitig, dass man sie aktiv gestalten kann.
Offen bleiben für den eigenen Weg
Entscheidungen machen unser Leben aus. Sie sind der rote Faden, der uns führt und unser Selbst formt. Jede Entscheidung ist ein Schritt – manchmal vorwärts, manchmal zur Seite, manchmal ein Umweg. Doch nichts zu tun, aus Angst vor Fehlern, bedeutet in aller Regel Stillstand.
Ich möchte Sie ermutigen, Entscheidungen mit Bewusstsein und Mut zu treffen. Sich von Möglichkeiten zu trennen heißt, sich für andere zu öffnen. Vertrauen Sie darauf, dass Ihr eigener Weg nicht von einer einzelnen Entscheidung abhängt, sondern von der Bereitschaft, sich immer wieder aufs Neue für das Leben zu entscheiden.
Ihr
René Märtin
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