René Märtin

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11. September 2007 by René Märtin

»Wir sind Sommer für Sommer Touristen«

Möns Klint zu Fuß – eine Wanderung von Möns Fyr zum Jydelejet
Die hoch aufragenden Kreidefelsen der dänischen Insel Mön laden zu atemberaubenden und naturnahen Wanderungen ein. 

In Kraneled wird das alte Rotkreuzheim renoviert, während ich abbremse. Möns Straßen verführen zu schnellem Fahren, aber in den Ortschaften gilt wie überall Tempo 50 und hinter Kurven tauchen schnell Menschen oder Vieh auf. Von der kleinen Ortschaft Kraneled sind es noch anderthalb Kilometer bis zum Abzweig zu Möns Fyr, dem Leuchtturm der Insel Mön. Ich halte kurz, Möns Klint ist nach links deutlich ausgeschildert, ich wähle aber den Hampelandsvej nach rechts, der bald einen Knick macht und Fyrvej heißt. Zur See hin liegen die 4 000 Jahre alten Hünengräber und der frühzeitliche Hafen von Busene. Die Straßen bis zum Feuer sind schlecht und schmal, aber dafür sind hier nicht so viele Menschen. Hier lasse ich den Wagen stehen und werde die Kreidefelsen entlang wandern bis zum berühmten Jydelejet, um dann durch den Klinteskoven zurück zu laufen.

Die berühmten Kreidefelsen werden von Touristen in der Hauptsache nur direkt bei Store Klint besichtigt, wo sich seit Juni 2007 das neue GeoCenter Møns Klint befindet. Beim südlichsten Punkt der aufsteigenden blendendweißen Schreibkreide beginnen aber nur die wenigsten Wanderer. Vor mir liegen 16 bis 20 Kilometer über teilweise schwieriges Gelände – je nachdem, welche Route man wählt und befriedigt stelle ich fest, dass sich der Durchschnittstourist davon wohl abschrecken lässt.

Festes Schuhwerk, Trinkwasser, Kleidung gegen Sonne und Wetter sowie eine Sonnenbrille sind ein Muss: die Kreide blendet auch bei bedecktem Himmel, selbst wenn die Felsen im Schatten liegen.

Kreide, Fossilien und Touristen

Ich steige auf, einen Acker entlang und komme an eine Weggabelung: Ab hier finden sich die gelben Markierungen des dänischen Generaldirektorats für Forst und Natur und der Hauptweg steigt weiter an und geht über die Klippen, während ein kleiner verschlungener Pfad hinunter zum Strand führt. Diesen gehe ich und folge den Kreidefelsen von Süden nach Norden. Der erste Teil ist zunächst niedrig, steigt aber bald steil an. Hier sind die Naturgewalten zu erkennen: Vor 75 Millionen Jahren bedeckte ein tiefes tropisches Meer Dänemark. Aus Kalkablagerungen von Kleinstorganismen entstanden Schichten, die im Laufe der Jahrmillionen angehoben und durch die Gletscher der Eiszeit zusammengepresst und auf über hundert Meter hochgeschoben wurden. Gewaltige Hügel und unwirkliche Felsformationen türmen sich über einem.

Aber die Pracht ist vergänglich: Seit der Eiszeit bröckelt langsam und stetig immer mehr vom Kreidefelsen ab. Kreide und Eiszeitablagerungen stürzen hinunter und werden vom Meer weggespült. Die Brandung verursacht in den lose liegenden Steinen ein eigentümliches lautes Rollgeräusch, das den ganzen Weg über in den Ohren tönt. Hier unten am Strand, zwischen Treibgut, Abfall und Tang, liegt der gewaschene Feuerstein, über den ich die nächsten Stunden laufe. Das ist zwar recht anstrengend, dafür finden sich aber im Flutsaum häufig Versteinerungen: Seeigel, Muscheln, Seegurken und Donnerkeil.

Wem das Laufen auf den Steinen zu beschwerlich wird, findet bei Gråryg Fald, Store Klint, Sandskredsfald und Jydeleje Fald Treppen, die vom Strand hinauf zur Steilküste führen. Die Steilküste kann auf der gesamten Länge begangen werden und die Treppen eignen sich gut als Anhaltspunkt, um unterschiedlich lange Runden gehen zu können.

Plötzlich kommen von irgendwoher viele Menschen, in Straßenschuhen, mit Beuteln und Kameras. Hinter der nächsten Klippe kommt eine große Treppe: Oben ist das GeoCenter und der höchste Punkt der Steilküste, der so genannte Dronningestolen. Mit 128 Metern über dem Meeresspiegel ist er der höchste Punkt der Steilküste, von hier kann man bei klarem Wetter bis nach Schweden und Rügen sehen. Unterhalb des Hügels halten Busse und lassen Touristen hinunter zum Strand laufen. Etwas entfernt vom Rummel, auf einem der Findlinge in der Brandung, trocknet ein Kormoran ungerührt seine Flügel und ich sehe zu, dass ich sprichwörtlich Land gewinne, indem ich die höchsten Klippen hinter mir lasse. Nördlich des Dronningestolen wechseln sich nun immer häufiger Vorsprünge mit Schluchten und kleineren Abhängen ab, deren Baumbewuchs oft bis zum Strand hinunter geht. Immer weniger Wanderer kommen mir entgegen und ich genieße wieder den Ausblick hinauf zum Klippenrand: »Wir sind Sommer für Sommer Touristen, / legen den Kopf in den Nacken / und sehen hoch zu den Kuppen der Kreidefelsen, / die Klinten heißen und dänische Namen tragen.«

Ja, auch Günter Grass versucht sich hier als Tourist, wobei er in einem anderen Teil der Insel, in Ulvshale Skov, ein Waldhaus in Dauerpacht hat und hier entweder schreibt oder an seinen Grafiken und Skulpturen arbeitet. Das verstehe ich sofort, dass sich immer schon auch Künstler von der Kreide in den Bann ziehen ließen. Bei den schroffen und spitzen Nasen, Zungen, Rissen und Kämmen fallen einem die Collagen Caspar David Friedrichs ein. Nur malte dieser eine Fantasiewelt auf Rügen, die man dort vergebens sucht – hier aber nuancenreich und in überwältigender Schönheit findet. Bei der Hylledal-Schlucht öffnet sich eine topfförmige Aushöhlung, Lehm und Kreide werden eingespült und bilden eine zähe Masse, die an den Strand fließt. Vorsichtig wate ich über das Hindernis, während schon von weitem der enorme Bruch beim Store Taleren (der große Redner) zu sehen ist. Im Januar 2007 stürzte an dieser Stelle ein riesiger Teil des Kreidefelsens ins Meer und bildete eine Halbinsel, die etwa 300 Meter weit in die Ostsee ragt. Für eine Zeit lang ist die Insel Mön nun viereinhalb Hektar größer – doch die See wird in den Herbst- und Winterstürmen bereits den Großteil der Kreide auflösen und wegspülen. Heute aber erschaure ich vor der Naturgewalt und folge vorsichtig dem bereits ausgetretenen Pfad

Jydelejet und der Wald

Nach rund acht Kilometern erreiche ich die steile Holztreppe, die mich das Jydeleje Fald hinaufbringt. Oben angekommen, mache ich auf dem herrlich gelegenen Plateau Rast und sehe in weiter Ferne langsam ein Schiff der Linie Travemünde-Trelleborg vorbeiziehen. Der starke Wind, unten am Fuß der Klippen ein ständiger Begleiter, hat nun nachgelassen und überlässt einer überwältigenden Stille den Raum. Hinter mir befindet sich ein sanftes, abgerundetes Tal, das weit in die Landschaft hinter die Steilküste ragt. Das Jydelejet ist eine alte und sehenswerte Kulturlandschaft mit vereinzelten Baumgruppen und Wachholderbüschen, die sich mit Weiden und mageren Wiesen abwechseln. Das hier weidende Vieh gehört zum nahen Gut Klintholm und ich gehe mitten durch die Tiere hindurch. An einer Gabelung klettre ich einen schmalen Stieg hinauf, der steil einen Berg nach Südosten hochführt.

Oben auf dem Aborrebjerg angekommen, befinde ich mich jetzt 143 Meter über dem Meeresspiegel. Vor einigen Jahren wurde hier ein Gedenkstein mit einem Vers aus der »Rättin« von Günter Grass errichtet; der deutsche Nobelpreisträger scheint so etwas wie der literarische Schutzpatron Möns zu sein. Ich habe nun fast die gesamte Insel im Blick mit ihrer abwechslungsreichen Landschaft, den Wäldern, Stränden und Feldern, den Hügeln und den Niederungen. Im Süden sieht man die Kuppen von Høvblege und Mandemarke Bakker, dahinter die blaue Ostsee. Dann gehts hinunter vom Hügel, am Storre Geddesø vorbei und immer tiefer in den Klinteskoven hinein.

Es gibt mehrere Wege und ich versuche, über Mogenssti Bakke und Blegsti Bakke so direkt wie möglich in Richtung Kalsterbjerg zu kommen. Der Wald gehört teils dem Staat, teils befindet er sich im Privatbesitz. Er ist Lebensraum für viele seltene Vogel- und Pflanzenarten; von den insgesamt 43 Orchideenarten, die in Dänemark vorkommen, wachsen allein 18 hier auf Mön. Deshalb fallen auch die Hinweise auf: Pflanzen dürfen nicht gepflückt oder ausgerissen werden. Auf der vom Generaldirektoriat herausgegebenen Karte sind neben vielen Denkmälern etliche Grabhügel und auf der Spitze des Hügels Timmesø Bjerg eine alte Zufluchtsburg eingezeichnet, die von steilen Abhängen und Wällen umgeben ist.

Jetzt geht es durch Naturwald, in dem die Natur ganz sich selbst überlassen wird, und ich freue mich über die Blütenvielfalt, bis ich beim Kalsterbjerg den Wald wieder verlasse. Vom Waldrand aus ist weit unten ein Hof zu sehen, in der Ferne dann der Leuchtturm und so habe ich für den weiteren Weg die Landmarke fest vor Augen. Entlang an Hainen und Äckern, durch Büsche und ganz zum Schluss wieder oben an den Klippen, komme ich am späten Nachmittag zurück und bin voller Eindrücke, die ich mit ins Haus am Strand nehme.

(2007, für »Neues Deutschland«)

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