RENÉ MÄRTIN

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Aktuelle Seite: Start / Führung und Verantwortung / Verschlossenes Herz: Wenn Führung den Zugang verliert

9. Oktober 2025 by René Märtin

Verschlossenes Herz: Wenn Führung den Zugang verliert

Führung bedeutet Zugang – zu Menschen, zu Themen, zu sich selbst.. © Foto: Carsten Zündorf Hinweis zum Fotografen »
Führung bedeutet Zugang – zu Menschen, zu Themen, zu sich selbst. © Foto: Carsten Zündorf Hinweis zum Fotografen »

Führung heißt Zugang schaffen – zu Menschen, zu Themen, zu sich selbst. Sie bedeutet, Räume zu öffnen, in denen Orientierung möglich wird, Vertrauen wachsen kann und Sinn sich zeigt. Doch manchmal ist die Tür verschlossen. Nicht nach außen, sondern nach innen. Dann helfen keine Methoden, keine Routinen, keine Empathietrainings. Dann zeigt sich, ob Führung nur funktioniert – oder wirklich führt.

Denn wo das Herz verschlossen bleibt, verliert auch die Sprache an Kraft. Entscheidungen werden korrekt, aber leer. Gespräche laufen, ohne zu berühren. Und unter der Oberfläche wächst etwas, das viele erst spät erkennen: Distanz. Eine Distanz, die sich leise einschleicht, wenn die Verantwortung zu groß, die Zeit zu eng und das eigene Maß zu klein geworden ist. Führung beginnt dort, wo man wieder spürt, was man lange übergangen hat: sich selbst.

Getragen von Mühe, Verantwortung und Ziel

Eine schmale Steintreppe führt hinauf zu einer dunklen Tür. Kein Fenster, kein Griff, nur ein alter Ring aus Metall, der kaum noch Glanz hat. Wer hier steht, sieht Stille – und vielleicht sich selbst. Das Bild könnte Sinnbild für Führung sein: eine Bewegung nach oben, getragen von Mühe, Verantwortung und Ziel, doch endend vor einer verschlossenen Pforte. Man hat die Stufen genommen, Schritt für Schritt, mit Disziplin, Anstrengung, klarem Blick. Doch oben angekommen herrscht Schweigen. Kein Willkommen, kein Zeichen, kein Raum, der sich öffnet. Nur die Gewissheit: Hier beginnt eine Grenze, die sich nicht mit Strategie überwinden lässt.

Führung bedeutet Zugang – zu Menschen, zu Themen, zu sich selbst. Doch was, wenn dieser Zugang verloren geht? Wenn der Raum, in dem Entscheidungen wachsen, versiegelt ist? Wenn das Herz verschlossen bleibt, obwohl man längst oben steht?

In solchen Momenten zeigt sich, was der britisch-irische Autor und »Unternehmer-Poet« David Whyte meint, wenn er schreibt: »Work is where we make ourselves visible – where the soul meets the world.« (Arbeit ist der Ort, an dem wir uns selbst sichtbar machen – dort, wo die Seele der Welt begegnet.) – Arbeit ist nicht bloß Leistung, sondern Begegnung – mit der Welt, mit anderen, mit dem eigenen Inneren. Sie ist der Ort, an dem das, was uns wirklich bewegt, sichtbar wird. Doch Sichtbarkeit braucht Offenheit, und Offenheit verlangt Mut. Wer führt, bewegt sich ständig an dieser Schwelle: zwischen innerer Stimme und äußerer Verantwortung, zwischen dem, was gefordert ist, und dem, was echt bleibt.

Wenn die innere Verbindung reißt, wird Führung zum Ritual des Funktionierens. Die Seele bleibt draußen, während der Körper weiterarbeitet. Das Gespräch verstummt, bevor es begonnen hat. Man steht dann vor sich selbst wie vor dieser Tür – wissend, dass der Schlüssel nicht im Außen liegt. Vielleicht ist es genau das, was Whyte als »the conversational nature of reality« beschreibt: die Tatsache, dass Wirklichkeit ein Gespräch ist, das wir führen müssen – auch dann, wenn es unbequem wird. Wer führt, steht immer wieder an dieser Schwelle. Und jedes Mal geht es um dieselbe Frage: Wage ich, die Tür zu öffnen – oder bleibe ich davor stehen?

Alles richtig, vieles falsch

Ende der 1990er Jahre: Köln, irgendwo zwischen Dom und Eigelstein. Eine der vielen damals angesagten Werbeagenturen, von denen es die meisten nicht mehr gibt. Loft, hohe Decken, kaltes Neonlicht, der Geruch von Kaffee und Papier. Ein Ort, an dem Geschwindigkeit zum Maßstab wurde und Stille als Schwäche galt. Mit 28 leitete ich als Key Account für bekannte Marken ein größeres Team – ehrgeizig, wach, diszipliniert. Führung bedeutete für mich damals Kontrolle: alles im Blick, alles im Griff. Leistung zeigen, Loyalität beweisen, funktionieren. Es ging darum, Erwartungen zu erfüllen – die der Kunden, der Vorgesetzten, meiner eigenen. Alles richtig machen. Und doch war: vieles falsch.

In meinem Team arbeitete eine Grafikerin – alleinerziehend, sensibel, präzise. Ich mochte ihre Arbeit, ihre Haltung, ihre Klarheit. Und dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, trieb ich sie an: immer weiter, immer schneller, immer perfekter. Ich redete von Verantwortung, Termintreue, Qualität. In Wahrheit sprach ich mit mir selbst – mit meinem eigenen Druck, meiner eigenen Angst, nicht zu genügen.

Eines Morgens brach sie im Büro zusammen. Einfach so, mitten in einem Gespräch über Layouts und Deadlines. Sekunden, die sich dehnten, Stille, die in der Luft hing. Ich erinnere mich an den Blick der Kollegen, an mein eigenes Schweigen. Danach war sie wochenlang nicht da. Und im Büro blieb etwas zurück, das sich nicht mehr wegerklären ließ: eine Leerstelle. Ich war fassungslos – über sie, über mich, über das, was geschehen war. Und ich verstand zugleich: Ich hatte nicht nur sie überfordert, sondern mich selbst. Ich hatte meine eigenen Bedürfnisse – nach Anerkennung, Ruhe, Sinn – verdrängt und in den Dienst der Aufgabe gestellt. Ich glaubte, das sei Professionalität. In Wahrheit war es Selbstentfremdung.

Führung ohne Zugang ist keine Stärke, sondern Flucht. Sie wirkt souverän, aber sie ist innerlich taub. Ich stand damals gewissermaßen auf der Treppe zu dieser Tür. Doch dahinter war nichts. Kein Raum, kein Atem, kein Gefühl. Nur das Echo des eigenen Anspruchs, das in der Leere widerhallte. Erst viel später begriff ich, dass der Zusammenbruch der Kollegin auch ein Spiegel war: Er zeigte, was ich selbst nicht sehen wollte. Ich hatte eine Grenze überschritten, weil ich keine kannte. Führung ohne inneres Maß verliert das Gespür für das Maß der anderen. Und wo Herz und Handeln sich trennen, wird Verantwortung kalt.

Der Weg zur Öffnung

Führung beginnt dort, wo man den eigenen Anteil nicht länger leugnet. Wo das, was passiert, nicht mehr nur als Fehler anderer erscheint, sondern als Spiegel des eigenen Zustands. Die Erfahrung mit der Grafikerin war dafür leider noch nicht der Wendepunkt, wenn auch diese Erfahrung lange in mir nachhallte. Erst langsam begann ich zu verstehen, dass Führung kein Schutzpanzer ist, sondern ein Resonanzraum. Kein System zur Kontrolle, sondern ein Ort, an dem etwas durch einen hindurchwirkt – oder eben nicht.

Und so ist auch Arbeit nicht nur Leistung, sondern ein Moment der Sichtbarkeit. Führung heißt deshalb, sich zeigen zu müssen – mit Unsicherheit, Irritation, Grenzen. Wo dieser Kontakt abbricht, verliert Verantwortung Tiefe. Dann bleibt das Tun korrekt, aber ohne Leben. Whyte nennt Arbeit eine Pilgrimage of Identity – eine Pilgerreise zur eigenen Ganzheit. Für Führung gilt das in besonderem Maße. Sie verlangt nicht, alles zu wissen, sondern den Mut, mit Ungewissheit in Beziehung zu bleiben. Wer führt, muss aushalten, dass Antworten sich nicht immer sofort finden lassen. Dass Konflikte, Spannungen, Zweifel dazugehören.

Das verschlossene Herz ist kein Versagen. Es ist ein Signal. Es zeigt, dass der Kontakt zu sich selbst dünn geworden ist, dass Schutz zur Gewohnheit wurde. Doch ohne Offenheit keine Verbindung – und ohne Verbindung keine Wirkung. Führung wird dann zu einem technischen Vorgang: korrekt, aber seelenlos. Der Weg zurück führt nicht über neue Methoden, sondern über Bewusstheit. Über das einfache, oft unbequeme Anerkennen: Hier bin ich verschlossen. Hier fehlt etwas. Das ist der Moment, in dem Verantwortung wieder Mensch wird.

Was Sie konkret tun können

  • Wahrnehmen: Wo bleibe ich auf Distanz – aus Angst, mich zu zeigen oder verletzlich zu wirken?
  • Verstehen: Was schützt mich an dieser Verschlossenheit? Und was verliert mein Umfeld dadurch?
  • Reflektieren: In welchen Gesprächen verliere ich Resonanz – und wie könnte ich sie wiedergewinnen?
  • Üben: Präsenz vor Perfektion. Ein ehrlicher Satz, ein Moment des Schweigens, ein Zuhören ohne Agenda.
  • Erinnern: Führung heißt, im Gespräch zu bleiben – auch mit sich selbst.

Wie gehen Sie in Ihrem Arbeitsalltag mit emotionaler Überlastung, stimmungsgesteuerten Prozessen oder dem Wunsch nach mehr Halt um? Mich interessiert, wie Sie solche Situationen erleben – und was Ihnen hilft, den Zugang zu sich selbst und zu anderen zu bewahren. Ich freue mich auf Ihre Gedanken, Erfahrungen oder Fragen zu diesem Thema. Schreiben Sie mir – gerne auch vertraulich.

Herzlich
René Märtin

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Zur Nachlese: David Whyte, ein poetischer Philosoph des Handelns
 
The Heart Aroused – Poetry and the Preservation of the Soul in Corporate America (1994) Sein bekanntestes Werk. Über die Seele in der modernen Arbeitswelt – wie Führung und Organisation wieder lebendig werden, wenn sie sich auf poetische Wahrheit einlassen.

Crossing the Unknown Sea – Work as a Pilgrimage of Identity (2001)
Arbeit als spirituelle Pilgerreise; über Berufung, Mut und die Schwelle zwischen Innenwelt und äußerem Handeln.

Consolations – The Solace, Nourishment and Underlying Meaning of Everyday Words (2015) Meditationen über Wörter wie »Courage«, »Friendship«, »Vulnerability« – poetisch, philosophisch, lebensnah. Auch in deutscher Übersetzung erschienen.

Kategorie: Führung und Verantwortung Stichworte: Achtsamkeit, Arbeitswelt, Beziehungskompetenz, David Whyte, emotionale Führung, Empathie, Führung, Führungskräfteentwicklung, Führungskultur, innere Führung, innere Haltung, Resonanz, Selbstführung, Selbstreflexion, Sinn, Überforderung, Ungewissheit, Verantwortung, verschlossenes Herz, Vertrauen

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Logotherapeut, Coach, Supervisor, Autor, Dozent. Gründer Deutsches Empowerment-Institut | Über mich »

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