René Märtin

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8. Oktober 2000 by René Märtin

Im Matatu beten lernen

»Bei Fahrten mit dem Auto sollte unbedingt der Schutz in einem bewachten Konvoi gesucht werden«, hatte mir das Auswärtige Amt Ende August mitgeteilt. Und vor falschen und echten Polizisten gewarnt, die mir ruckzuck mein Geld abnehmen, um damit im Gewimmel Nairobis zu verschwinden.

Schlecht, sehr schlecht, sei es auch, tagsüber sich am Machakos Bus Terminal in der Hauptstadt aufzuhalten – immerhin dem zentralen Busbahnhof Kenias. Getränke von Fremden sollte man sowieso nicht annehmen, das kenne ich ja noch aus Kindertagen, wo man von fremden Onkeln keine Bonbons annehmen durfte.

Aber was das Auswärtige Amt fahrlässig verschwieg, wovor es mich sträflicherweise nicht gewarnt hatte – das waren die Taxis. Dabei war mir bei meinen Reisevorbereitungen nicht im Traum eingefallen, mehrere hundert Kilometer durchs wilde Afrika mit einem Taxi zu fahren ...
Meine Mission war denkbar einfach: Ich sollte an einem heißen wie staubigen Septembernachmittag von einem gewissen Uncle Tom in Nairobi abgeholt werden. Dann würden wir tagelang quer durch Kenias Nordwesten fahren und ich hatte nichts anderes zu tun, als mir ein paar Projekte anzusehen, Fotos zu machen, Notizen festzuhalten. Das traute ich mir zu, dazu war ich in der Lage. Angst hatte ich lediglich vor vergammelten Landrovern und rostigen Cessnas, so, wie ich sie von Hardy Krüger’s Weltenbummler her kannte.

Ich wurde eines besseren belehrt: »Kenia ist gar nicht so. Es ist ganz anders«, raunte mir ein Funktionär vertraulich zu und merkwürdig klangen seine Worte in diesem leeren Bürogebäude irgendwo in der Hauptstadt.

Thomas Malande, mein Begleiter und seines Zeichens ein von katholischen Priestern bekehrter ehemaliger Gossenjunge aus den Strassen Nairobis, nannte sich nun Uncle Tom und holte mich tatsächlich in der hitzeflirrenden Mittagsstunde ab. Mit einem nagelneuen, vollklimatisierten Jeep. Einem Toyota. Erleichterung ergriff mein Herz, während eine Schweißperle sich ihren Weg die Nase entlang bahnte.

Tatsächlich war es eine interessante Woche, die wir zu fünft im Jeep und auf den weggespülten Straßen in den Bergen verbrachten. Abenteuer beschränkten sich auf leicht zu belächelnde Ereignisse, wie gackernde Hühnerscharen morgens um vier unter meinem Bett, kochende Kühler, Geckos neben, auf und unter dem Essen – und den bewaffneten Räuberbanden, vor denen das Auswärtige Amt so ausgiebig gewarnt hatte. Nur dass sich die Räuberbanden bei näherem Hinsehen als Polizisten entpuppten, die uns wohlwollend durch die Straßensperren ließen, nachdem wir das Abendessen für die hungrigen Mäuler zuhause bezahlt hatten. Das übrigens tat unser Fahrer mit der lässigen Routine des Gönners, die Notenbündel am langen Arm zärtlich flatternd bereits beim Herannahen aus dem Fenster gestreckt. Polizeisperren erkennt man in Kenia praktischerweise an den Stahlkrallen, die in der Sonne blinken. Manchmal stehen dort auch Warnschilder.

Eine Woche war also rum, mein Auftrag erledigt und mein Flieger nach Simbabwe wartete. Nur Uncle Toms letzter Auftrag harrte noch seiner Erfüllung: Den jungen Deutschen wohlbehalten und in ganzen Stücken wieder in Nairobi abzuliefern.

»Kisumu«, sagt Tom, »Kisumu« und zeigt auf einen Punkt irgendwo auf der Karte. »Von hier aus bringe ich dich nach Nairobi zurück.« Kisumu: Das ist der nordöstlichste Zipfel am Victoria-See, ein kleiner Melting Pot an den Ufern des Winam Gulf. Es gibt hier die wichtigste Eisenbahn des Landes, die Uganda-Linie, einen Flughafen, ein Terminal für Überlandbusse der großen Gesellschaften. Ich bin beruhigt. Das werde ich ihm nie vergessen. Wir kommen in die Vororte, frohen Mutes erblicke ich den Wegweiser zum Flughafen, an dem wir ungerührt vorbeifahren. »Dann also Bahn«, denke ich, während der Fahrer um den Bahnhof herum zur Busstation fährt. Fährt auch daran vorbei und hält an einer heruntergekommenen ehemaligen Tankstelle.

Wracks stehen herum, Händler schreien, Diesel wird verschoben, Menschen in Busse und Lieferwagen gedrückt – ratlos stehe ich draußen vor dem Jeep und lasse mir meine Gepäckstücke in die Hand drücken. Kenia wird von der schlimmsten Dürrewelle seit 40 Jahren heimgesucht und ich muss meinen geliebten gekühlten Toyota verlassen. Im gleichen Moment rupft und zupft es überall an mir und Tom schreit: »Halt deine Kamera fest auf dem Bauch! Dein Laptop! Dein Koffer!« ›Mein Hut‹, denke ich und verlier allmählich den Boden unter meinen Füßen. Dann trifft mein Blick den Boden und dort unten hockt ein Mann ohne Beine, wie eine Krabbe auf seinen Kniestümpfen laufend, geschickt, wendig, schnell – er trägt eine dieser gelbblauen Westen mit dem Namen der Company, für die er Reisende aufgabelt.

»Msungo – Weißer Mann, du brauchst ein Matatu? Bitte, bitte, hier gut und günstig« und raunzt auf Kisuhaeli Tom an, der unwillig mich an sich zerrt und wir beiden folgen dem Mann ohne Beine. Im Gedränge, zwischen fahrtüchtigen Autos und Fahrzeugen ohne Reifen, steht dann »unser« Wagen: Ein Peugeot-Kombi, der so aussieht, als ob er mit Ach und Krach die Mau-Mau-Kämpfe überlebt hat. Erst auf dem zweiten Blick sehe ich, dass er allerdings nicht älter als fünfzehn Lenze sein dürfte. Doch mein Hirn ist müde, meine Augen sind trübe und der weiße Mann ist schlichtweg überfordert.

»Wir haben Glück. Es ist eigentlich kein Matatu. Wir kriegen ein Sharing Taxi!«
Was ihn allerdings dazu veranlasste von Glück zu sprechen, konnte ich bis heute nicht herausfinden. Mit neun Leuten in einem alten Peugeot-Kombi, der für sieben Personen zugelassen war die ganze Strecke von Kisumu nach Nairobi?

Drinnen sitzt schon einer und das ist ein schlechtes Zeichen, denn wir werden in der brüllenden Hitze über eine Stunde warten müssen, bis der Wagen voll ist. Wie gesagt, mit neun Personen. Warten meint, im Wagen zu warten, andernfalls könnte der bereits bezahlte Platz verloren gehen – wenn man nicht aufpasst. Und aufpassen heißt auch, jeden Vorgang argwöhnisch zu beobachten, während ein aufgebocktes Auto wegkracht, weil die Radaufhängung bricht, merkwürdig aussehende Kerle Karten zocken und deren Damenbegleitung häufiger den Schoß wechselt. Krampfhaft halte ich Laptop und Kamera fest, denn erst in diesem Moment geht mir auf, wofür Versicherungen nützlich sein könnten.

Endlich aber, endlich, geht es los, wir verlassen Kisumu, in einer wahnwitzigen Fahrt über Londiani, Nakuru, Gilgil, Narok, um möglichst noch vor Einbruch der Dunkelheit Nairobi zu erreichen. »Irre«, sage ich nichtsahnend, denn ich für meinen Teil habe genug der Eindrücke und muss dann erleben, eingezwängt zwischen den Leibern meiner Reisegefährten, dass der Fahrer mit 120 Sachen über die unsäglichen Schlaglöcher der staubigen Piste hinwegfliegt, Nairobi entgegen. Als ob das nicht genug ist, hält der Kutscher das Lenkrad lässig mit der Linken, während er mit der Rechten wild fuchtelt und der einzigen Frau an Bord ausgiebig den Hof macht.

»Bremsen«, schreit er die Frau neben sich an »Bremsen ist was für die Jungen, die Unerfahrenen. Ich aber, ich kenne die Strasse!« Und wirklich, statt zu bremsen, als eine Herde Zebras die Straße überquert, gibt er Gas und drückt fortwährend auf die Hupe.
So geht’s stundenlang, vorbei an ausgebrannten Tankerwracks, demolierten Bussen, umgestürzten Taxis, liegengebliebenen Matatus, deren Fahrgäste auf ihrem Gepäck neben dem Wagen sitzen. Linksverkehr hat’s eigentlich in Kenia, aber unser Fahrer weiß nichts davon, ständig befindet er sich auf Überholkurs und wenn er nicht überholt, fährt er auf der Mitte, dort, wie die Straße die wenigsten Schlaglöcher hat. Wenn das nichts hilft, hilft immer noch der Zickzackkurs.

Als ich vor Jahren den Glauben fahren ließ, hatte ich ja keine Ahnung, dass mich eines Tages die Dinge wieder einholen würden. Der Agnostiker in mir schweigt nun und ich murmele längst vergessene Gebete, in der Hoffnung, heil in Nairobi anzukommen ...
Pünktlich zur Abenddämmerung hält das Sharing Taxi, mein unheimliches Matutu, am Machakos Bus Terminal, Uncle Tom schleppt mich zu einem Bus der Stadtlinie und liefert mich dann endlich ab. Das Dollarbündel rupft er mir aus der Hand und verschwindet schweigend im Dämmerdunkel Nairobis.

(Oktober 2000)

Filed Under: Archiv

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