Einmal vom Norden Europas eingenommen, wird man nicht mehr losgelassen – von den Eindrücken, die angesichts der Weite Skandinaviens und der oft geheimnisvollen Natur unvermeidlich sind. Meine Reisen nach Norwegen, Schweden und Dänemark – ob privat oder beruflich – sind für mich allerdings immer auch Äußerungen einer bestimmten Sucht. Gemeinhin wird dieses Gefühl als Fernweh beschrieben, ich nenne es Heimweh. Besonders Schweden ist für meine Arbeit notwendiges Sujet, eine Palette reich an Farben und die Impressionen hören nicht auf.

»Im Hintergrund blinkte der Mälarsee, während im Hafen von Mariefred die Segelboote leise dümpelten und das dicke, rote Schloß träge auf seiner Halbinsel lag. Zu Bewachen hat es schon lange nichts mehr.«
(aus: Das Mädchen aus Rök)
Es hilft nichts: Wer über »Eindrücke vom Wegesrand« schreibt und dabei noch mutwillig den bereits gelegten Spuren folgt (Tucholsky! Gripsholm!) – verliert zwangsläufig seine eigenen Linien. Zu stark sind die Bilder, allein der Name Mariefred löst die ganze Kette von Assoziationen aus, die dem Tucholsky-Liebhaber förmlich entspringen müssen. Man kann es auch anders ausdrücken: »Tucholsky hebt nicht« schrieb mir eine Lektorin und meinte damit klipp und klar: Sich auf einen großen deutschen Dichter zu berufen – und sei’s nur eine Marginalie – reicht nicht aus, einen guten Text abzuliefern. Selbst wenn diese kleine Tucholsky-Reminiszenz nur der Anfang einer Reisebeschreibung ist.
Gleichzeitig wird in der Retrospektive die Spannung deutlich, in der meine »Nordland-Texte« stehen: Wie findet die Menge an Eindrücken ihre adäquate Entsprechung in den Texten?

Der erste Zugang für etliche Texte waren Skizzen und Fotografien, also verbildlichte Eindrücke, die ich festgehalten habe, um daraus etwas zu machen. Je mehr ich in die Materie einstieg, desto deutlicher wurde mir bewusst, dass nur das alte Credo »less is more« meinen Werken weiterhilft. Das bedeutet, eine Geschichte mit so wenig Strichen wie möglich zu zeichnen, mit den Worten haushalten – die Erzählung auf das Wesentliche zu reduzieren:
»Wer genau sieht,
erkennt vergammelte
Segel im Eck, Gardinen
hängen in Fetzen
(aus: Spaziergang durch Vickleby
»Was ich jetzt sehe, sehe ich nicht
Ein Auto, das nahe kommt und
ein Auto, das sich entfernt
Was gerade noch bei mir war, ist fort:
ein Gedanke an, ein Tropfen von und selbst
der Staub ist nicht derselbe«
(aus: Sommer in Värmland)

An diesen Texten wird am ehesten deutlich, was meine Gedichte vor allem sind: Geschichten, die es nicht in die Länge geschafft haben, die den Druck der ausgefeilten Erzählungen und der zuende beschriebenen Bilder nicht ausgehalten haben. Ich möchte das nicht als ein Zugeständnis an die Hast unserer Zeit verstanden wissen; wer Zeit hat, zu beobachten – hat auch Zeit, zu beschreiben. Vielmehr ist es eine Art Vorsicht, oder Ehrfurcht, mit denen ich den Sujets nahe komme. Irgendwo in mir drin steckt eine Furcht, dass der Moment verfliegt, das Bild verschwindet, die Worte den Augenblick verscheuchen – wenn ich das Erlebte der Gewalt meiner Nacherzählung aussetze. Spannung, Paradoxon – ich will mit einem Gedicht das Gewesene festhalten und muss doch fürchten, den Eindruck durch die Beschreibung damit für immer zu deformieren, wenn nicht zu verlieren.
»Leben:
auf den Klippen sitzen,
die Sonne und den kühlen Wind der
schwedischen Ostsee spüren,
ein kaltes, leichtes Bier trinken«
(aus: Varberg)
»Draußen stand der Briefträger und
schwätzte mit der Wirtin«
(aus: Briefträgers Odeon)
Titel (Auswahl)
Das Mädchen aus Rök | Varberg | Spaziergang durch Vickleby | Bolilmark | Sommer in Värmland | Anrufe nach Mitternacht | Der Gott, der in den Nägeln der Planken wohnt | Ivo, der Samenjunge, singt ein altes Lied | Mitternacht (ein Nachtrag) | Wind, Salz, Sonne | Stavanger | Briefträgers Odeon | Stille um uns | Rättvik